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Neues im Scheidungsfolgen- und Umgangsrecht in England und Wales – oder Altbekanntes im neuen Gewand?

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Bekanntermaßen kennt das Recht von England und Wales weder ein Ehegüterrecht im eigentlichen Sinne noch ein Verbundverfahren für Scheidung und Scheidungsfolgen.1 Letztere – die sogenannte financial provision (oft noch als ancillary relief bezeichnet) – stehen zur Gänze im Ermessen des erkennenden Gerichts – wenn es denn überhaupt angerufen wird. Auch inEngland und Wales werden nämlich in den allermeisten Fällen FamRZ 2015, 1548die Scheidungsfolgen von den Parteien außergerichtlich geregelt, teils mit und teils ohne anwaltliche Beratung. Da die Ehescheidung als solche zudem auch ohne Regelung der Scheidungsfolgen erfolgen kann (und das in der Praxis sogar äußerst häufig der Fall ist), sind in vielen Fällen die Scheidungsfolgen sogar nur informell vereinbart oder aber einfachvertraglich zwischen den Parteien festgelegt; Letzteres oft dann mit Hilfe anwaltlicher Beratung. Zwar raten Anwälte im Regelfall dazu, die getroffene Vereinbarung dann dem Gericht zwecks Erlasses eines sogenannten consent order vorzulegen. Geschieht dies, so erlässt das Gericht nach eher oberflächlicher Prüfung und im Vertrauen auf die ausreichende anwaltliche Beratung der Parteien einen die Vereinbarungen widerspiegelnden order, sofern das Ergebnis im Rahmen dessen ist, was das Gericht aus eigenem Ermessen hätte entscheiden können, und/oder der Inhalt wesentlichen Prinzipien des englischen Rechts2 nicht widerspricht. Ein consent order hat dann dieselbe Rechtskraft wie ein „normaler“ order, ist vollstreckbar und es gelten dieselben begrenzten Möglichkeiten hinsichtlich Rechtsmitteln gegen diesen order; ein appeal out of time ist nur in sehr extremen Umständen möglich.3 Ein consent order verschafft den Parteien also ein deutliches Mehr an Rechtssicherheit. Dennoch haben aber bislang aus vielerlei (und nicht zuletzt Kosten-)Gründen viele Scheidungspaare davon abgesehen, einen solchen order zu beantragen. Letzteres dürfte sich nach der Entscheidung des United Kingdom Supreme CourtinVince v. Wyatt4 voraussichtlich ändern, und kein beratender Anwalt wird es, schon aus Haftungsgründen, nunmehr unterlassen, sehr nachhaltig auf einen consent order zu drängen. Zum – eher ungewöhnlichen – Fall: Frau Wyatt und Herr Vince heirateten im Jahre 1981. Der Lebenswandel des Paares zu diesem Zeitpunkt kann wohl am besten als „Hippie-Nomadentum“ beschrieben werden.5 Frau Wyatt hatte bereits eine Tochter, Emily, mit einem anderen Mann. Die einzige regelmäßige Einnahmequelle des Paares waren staatliche Sozialleistungen. Nach der Geburt der gemeinsamen Tochter Dane (die heute 31 Jahre alt ist und bei Herrn Vince lebt), trennten sich die Eltern rund zwei Jahre nach der Eheschließung. Zu einer formellen Scheidung kam es freilich erst im Jahr 1992. Zu diesem Zeitpunkt hätte unstreitig Herr Vince Unterhaltspflichten gegenüber den Kindern Dane und auch Emily6 gehabt, es kam aber nur zu einem rein nominellen child maintenance order und Zahlungen waren zunächst nicht geflossen.7 Ebenso wäre ein Anspruch auf Klärung der finanziellen Scheidungsfolgen generell (financial provision) möglich gewesen.8 Angesichts der finanziellen Situation und des Lebenswandels des Paares wären solche Ansprüche allerdings vermutlich eher theoretischer Natur gewesen und ohne Aussicht auf tatsächlichen Erfolg. Frau Wyatt hatte in der Folge noch zwei weitere Kinder mit einem neuen Partner. Im Jahr 2011, fast zwei Jahrzehnte nach der Scheidung, klagte Frau Wyatt schließlich auf financial provision. Ihr Gesundheitszustand sowie ihre Gesamtlebensumstände waren (und sind) prekär. Herr Vince hingegen hatte mittlerweile einen außergewöhnlichen geschäftlichen Erfolg: Mit seinem lange nach der Trennung bzw. Ehescheidung gegründeten Unternehmen im Bereich der erneuerbaren Energien hatte er großen geschäftlichen Erfolg und verfügte im Jahr 2015 über ein Gesamtvermögen von mindestens 57 Millionen Pfund.9 Es war unstreitig, dass Herrn Vinces finanzielle Situation es ihm bis zu den letzten Jahren vor Danes Volljährigkeit unmöglich machte, Unterhalt für die Kinder zu leisten. Ebenso unbestritten war die Tatsache, dass für einen Zeitraum von 14 Jahren, in denen ihr der erstaunliche Reichtum von Herrn Vince bekannt geworden war, Mrs Wyatt keinerlei Anstalten gemacht hatte, irgendwelche Ansprüche geltend zu machen. In ihrer Klageschrift verwies sie nunmehr darauf, (1) dass sie während und nach der Ehe wegen der Kindesbetreuung erhebliche berufliche und finanzielle Nachteile erlitten habe, (2) dass sie aufgrund ihrer gesundheitlichen und sonstigen persönlichen Umstände nur eine sehr begrenzte Erwerbsfähigkeit habe, und (3) dass sie die Kinder nach der Ehe alleine und in relativer Armut großgezogen habe (auch wenn sie zugestand, dass sowohl Emily als auch Dane Zeit bei und mit Herrn Vince verbracht hätten). Sie beantragte daher, Herrn Vince zur Zahlung von Unterhalt bis an ihr Lebensende bzw. zu einer Pauschalzahlung von 1,9 Millionen Pfund zu verurteilen. Herr Vince argumentierte hingegen u. a., dass Frau Wyatt ihre Ansprüche dadurch verwirkt habe, dass sie sie trotz ungefährer Kenntnis seiner Vermögensumstände für einen solch langen Zeitraum nicht geltend gemacht habe. Der Supreme Court (anders als der Court of Ap-FamRZ 2015, 1549peal)10 befand, dass es nicht ausgeschlossen werden könne, dass Frau Wyatt dem Grunde nach Ansprüche auf financial provision zustünden, und verwies den Fall zur Sachentscheidung an den High Court zurück.

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Zeitschrift für das gesamte Familienrecht

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